Auf der Elektrischen

Ein kalter Wintertag

von Ludwig Thoma

Ludwig Thoma
Auf der Elektrischen
 
Ein kalter Wintertag.
 
Die Passagiere des Straßenbahnwagens hauchen große Nebelwolken vor sich hin. Die Fenster sind mit Eisblumen geziert, und wenn der Schaffner die Türe öffnet, zieht jeder die Füße an; am Boden macht sich der kalte Luftstrom zuerst bemerklich. Die Passagiere frieren, nur wenige sind durch warme Kleidungen geschützt, denn der Wagen fährt durch eine ärmliche Vorstadt.
Da kommt ein Herr in den Wagen; er trägt einen pelzgefütterten Überrock, eine Pelzmütze, dicke Handschuhe. Er setzt sich, ohne seiner Umgebung einen Blick zu schenken, zieht eine Zeitung aus der Tasche und liest.
Die anderen Passagiere mustern ihn; das heißt seine untere Partie. Die obere ist hinter der Zeitung versteckt. Die größte Aufmerksamkeit schenkt ihm ein behäbiger Mann, der ihm gerade gegenübersitzt. Er biegt sich nach links und rechts, um hinter die Zeitung zu schauen. Es geht nicht.
Er schiebt mit der Krücke seines Stockes das hemmende Papier weg und fragt in gemütlichem Tone:
„Sie, Herr Nachbar, wissen Sie, aus welchan Pelz Eahna Haub'n is?“
Der Herr zieht die Zeitung unwillig an sich.
„Lassen Sie mich doch in Ruhe!“
„Nix für ungut!“ sagt der Behäbige.
Nach einer Welle klopft er mit seinem Stocke an die Zeitung, die der Herr noch immer vor sich hinhält.
„Sie, Herr Nachbar!“
„Waßß denn?!“
„Sie, dös is fei a Biberpelz, Eahna Haub'n da.“
„So lassen Sie mich doch endlich meine Zeitung lesen!“
„Nix für ungut!“ sagt der Mann und wendet sich an die anderen Passagiere.
„Ja, dös is a Biberpelz, de Haub'n. Dös is a schön's Trag'n und kost' a schön's Geld, aba ma hat was, und es is an oanmalige Anschaffung. De Haub'n, sag' i Eahna, de trag'n no amal de Kinder von dem Herrn. De is net zum Umbringa. Freili, billig is er net, so a Biberpelz!“
Die Passagiere beugen sich vor. Sie wollen auch die Pelzmütze sehen.
Aber man sieht nichts von ihr; der Herr hat sich voll Unwillen in seine Zeitung eingewickelt.
Da wird sie ihm wieder weggezogen. Von dem behäbigen Manne, mit der Stockkrücke.
„Sie, Herr Nachbar ... „
„Ja, was erlauben Sie sich denn ... ?!“
„Herr Nachbar, was hat jetzt de Haub'n eigentlich gekostet?“
Der Herr gibt keine Antwort.
Wütend steht er auf, geht hinaus und schlägt die Türe mit Geräusch zu.
Der Behäbige deutet mit dem Stock auf den leeren Platz und sagt: „Der Biberpelz, den wo dieser Herr hat, der wo jetzt hinaus is, der hat ganz g'wiß seine zwanz'g Markln kost'; wenn er net teurer war!“
 
 
**********